Tja, so pompös sah die Einweihungsfeier vom Nord-Ostsee-Kanal in Holtenau aus. Was war der Festplatz ausstaffiert!
Da waren Kaiser und Könige da und alle Fürsten und natürlich alle Würdenträger. Und die Kadetten standen Spalier, als die Kaiseryacht und all die anderen Schiffe vorbeigefahren sind.
Aber wir, die Arbeiter, wir waren nicht eingeladen. Wenn wir nicht gewesen wären, dann hätte der Kaiser da jetzt nicht so schön von Brunsbüttel bis Kiel auf seiner Yacht durchfahren können.
Acht Jahre und 16 Tage haben wir uns abgerackert für die hohen Herrn. Und was ist der Dank? Nix, sag ich dir.
Ein paar von uns erzählen hier ihre Geschichte. Wenn du willst, kannst du dir das auch anhören, im jeweiligen Schnack des Erzählers. Da waren ja viele Sprachen dabei - Platt, Friesisch, Niederländisch, Polnisch, Italienisch,...
Hein Schröder, Arbeiter aus Hamburg
Wir sind hier so um und bei 9000 Arbeiter am Kanal.
Wir Grandmonarchen graben uns von Kiel nach Brunsbüttel. Den ganzen Tag wühlst du im Schiet und Dreck rum. Egal, wie das Wetter ist. Oft stehst du zehn Stunden bis zu den Knien im Morast.
Und wofür machen wir uns so krumm? Wir ziehen von Baustelle zu Baustelle – immer weit weg von Zuhause.
Der Schachtmeister ist brutal zu uns und schreit uns an, dass wir Lumpenhunde und Faulpelze sind. Wir sollen noch schneller arbeiten, meint er. „"Accord, Accord“, schreit er immerzu.
Aber wir schuften doch schon bis zum Umfallen. Wir machen die schwerste Arbeit und kriegen das wenigste Geld. Ein Hungerlohn ist das.
Man kann gar nicht glauben, wie viele Arbeiter jedes Jahr hier am Kanal geschuftet haben. Acht Jahre lang, bei Wind und Wetter, bei Tag und manchmal sogar auch in der Nacht.
Piet, Baggermeister aus Groenlo
in den Niederlanden
Uns kann keiner was vormachen, wenn’s um’s Baggern geht. Die holen uns ja extra aus den Niederlanden. Wir kommen dann mit unserem "Iezeren Kearl". So nennen wir den Bagger, der uns die Arbeit in den Lehmkuhlen viel einfacher macht.
Wir sollen nämlich den Brunsbüttler Hafen vertiefen. Wir sind 33 Baggermeister. Die Kaiserliche Canal-Commission hat uns angestellt. Und was wir da für moderne Maschinen haben. Die Eimerkettenbagger haben die sogar extra für den Kanalbau erfunden. Tja, dat ist kein Schiet.
Trockenbagger sind hier in Gange, Dampfbagger und Kettenbagger. So’n Trockenbagger schafft 100 Kubikmeter Erde in nicht mal einer Stunde. Da können die Monarchen mit ihren Schaufeln aber lange graben. Wir brauchen nur vier Mann für die Maschinerie, zehn Mann, um die Gleise von den Transport-Loren zu verschieben und zehn Mann, um die vollen Wagen zu entleeren.„
Pro Tag baggern wir 2400 Kubikmeter Erde weg. Stell dir mal vor, als der Kanal fertig war, da haben wir 80 Millionen Kubikmeter Erde bewegt. Natürlich haben auch die Arbeiter mitgeholfen.
Jakub Kowalski,
Zimmermann aus Danzig
(starb später beim Aufstellen eines Gerüstes an der Schleuse. Fiel kopfüber auf den Schleusenboden)
Wir sollen ja die Baracken für all die Arbeiter bauen. Mann, das ist lange kein Schiet. Das sind richtige Häuser, die wir da aus Holz gezimmert haben. Aus Brettern. Und auf den Zementboden sollen wir für den Winter extra Holzbretter sägen. Damit es im Winter nicht so kalt ist für die Arbeiter.
Tja, nobel, nobel das Ganze. Das stand sogar in der "Gartenlaube“ drin. Wir hätten mustergültige Baracken gezimmert. Mit Regenbädern und Krankenzimmer. Und mit so einem neumodischen Desinfectionsapparat, damit da auch alles reinlich ist.
In Burg und Hanerau mussten wir sogar eine Lazarett-Baracke bauen für die Kranken. Es hat ja viele Unfälle am Kanal gegeben.„Wir haben zwölf Barackenlager am Kanal lang gezimmert. Die durften nicht weiter als 3,5 Kilometer von den einzelnen Baustellen weg sein. Das hat die Kanal-Kommission so bestimmt.
In jedem Haus haben acht Leute geschlafen. Bis zu 400 Arbeiter konnten in einem Lager wohnen.
Fiete Thode,
Anwohner aus Rajensdorf
Die hohen Herrn von der Canalcommission haben mich gefragt, ob ich nicht noch Feldsteine liegen hab‘. Klar, hab‘ ich gesagt, ich hab‘ einen ganzen Haufen auf der Koppel liegen. Die soll ich nun mit Pferd und Wagen an den Kanal bringen. Die brauchen die für die Böschung.
Mein Nachbar hat sogar seinen ganzen Hofplatz aufgerissen und die Pflastersteine an den Kanal verkauft. Die sind verrückt geworden, die Bauern. Aber das gibt richtig gutes Geld. Knapp zwei Mark für einen Kubikmeter kriegen sie.
Die anderen Steine holen sie aus der Ostsee raus. Ich war mal dabei, als ein Steinfischer einen riesengroßen Findling aus dem Kanal geholt hat. Die haben so große eiserne Zangen auf dem Kahn und damit heben sie den einfach raus. Und die italienischen Sprengmeister, die sprengen die dann klein. So was hab‘ ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.„
Was das hier alles für Arbeiter gibt, das kann man sich nicht vorstellen. Die Monarchen, ja, die kennt man ja von der Feldarbeit - aber hier laufen auch Steinmetze aus Italien rum und Steinfischer und Maschinisten für die Riesenbagger.
Adriano, Steinmetz aus Friaul
Wir haben gutes Geld verdient am Kanal. Viel mehr als die anderen. Aber wir mussten auch im Akkord arbeiten. Manchmal 12 Stunden am Stück. Tag und Nacht, wenn’s nötig war.
In Accord brachten wir es auf sechs bis acht Mark am Tag. Die anderen Arbeiter haben die Hälfte verdient. Aber das war auch reine Knochenarbeit. 800 Millionen Pflaster- und Mauersteine haben wir für die Uferbefestigungen verlegt. Das muss man sich mal vorstellen! Aber wir Italiener waren einfach die Geschicktesten, wenn das um Pflasterarbeiten ging. Und darum haben uns die Unternehmer gern genommen.
In der Kanalzeitung stand mal, dass wir fleißige, sparsame und nüchterne Leute sind. Das stimmt. Aber dass wir angeblich unsere Baracken-Türen aushängen würden, um Vögel zu fangen und um sie dann zu essen – also das ist Spinnkram.„
Die meisten von uns Steinmetzen kommen aus Friaul in Italien. Wir sind immer mit einem Trupp gekommen und hatten unseren Schachtmeister dabei. Aber hier arbeiten auch noch Polen, Holländer, Russen, Schweden und Dänen.
Reemt,
Schlosser aus Risum-Lindolm
Bei Wind und Wetter müssen wir da rauf und unsere Arbeit machen. Das ist kein Zuckerschlecken, das kann ich dir sagen. Wir stehen da mit unserem Niettrupp oben auf den Eisenträgern. Da kann man einfach so durchgucken nach unten.
Mein Kumpel muss sogar noch einen dicken Schutzanzug tragen – der kann sich gar nicht da drin bewegen. Er steht am Ofen und bringt die Nieten zum Glühen. Das ist so heiß! Und wir hauen die dann mit dem Döpper fest. Mannomann, ich hab‘ immer Angst da oben.
Ein falscher Schritt und man fällt runter und ist tot.
Gestern erst ist einer von meinen Freunden aus der Baracke von der Brücke in Grünthal gefallen. War sofort tot. Hat sich alles gebrochen. Das stand sogar in der Kanal-Zeitung drin. Aber es gibt ja auch keine Sicherung. Nix. Und wer sorgt jetzt für seine Familie?
Du kannst dir ja mal angucken, was wir verdienen und was wir hier noch für Essen und Trinken ausgeben. Und für all den anderen Kram. Da kann man nicht mehr viel an die Familie nach Hause schicken.
Paul Voß, Taucher aus Kiel
Ta, Geld verdien‘ ich ja genug. Aber Geld ist nicht alles. Gestern bin ich fast ertrunken in der Schleuse.
Ich sollte da was reparieren und dann haben die die Schotten aufgemacht und mein Luft-Schlauch ist von der Strömung einfach abgerissen. Ich hab‘ keine Luft mehr gekriegt! Die mussten mich mit’ m Tau hochziehen. Das ist ein hartes Brot, meine Arbeit hier. Das kann ich euch sagen.
Das fängt schon mit dem Anziehen an: Erst den harten Gummi-Anzug. Da müssen mir vier Mann reinhelfen. Bis ich mich da durch den engen Gummikragen gezwängt habe . . . nee, oh nee. Und dann die schweren gusseisernen Schuhe. Da wiegt einer fast acht Kilo. Dann kommt der große Messing-Helm obendrauf. Da wird dir aber blümerant zumute. Zum Schluss kommen das Brustgewicht und das Rückengewicht. Stell dir mal vor, du solltest 16 Kilo vorne und hinten mit dir rumschleppen! Das ist ein Aufstand jedes Mal.
Tja, wir Taucher haben den Kaiser eine Stange Geld gekostet – wir haben schließlich sehr gut verdient. Aber das ist ja wohl nur ein Klacks – wenn man bedenkt, dass der ganze Kanal über 150 Millionen Mark gekostet hat.“
Wilhelm, Elektriker aus Köln
Mann was waren wir stolz, als auf der Oststrecke des Kanals zum ersten Mal die elektrische Beleuchtung eingeschaltet wurde. Das war 1895, mein ich.
In der Kanal-Zeitung stand, dass die elektrische Anlage zu der bedeutendsten vom ganzen Bau gehört. Und wir, die Elektriker von der Actiengesellschaft Helios haben sie gebaut! Es soll ja die längste Strecke der Welt sein, die jemals elektrisch beleuchtet wurde.
1000 Bogenlampen haben wir angeschlossen und die wurden aus nur zwei Kraftwerken betrieben. Das eine steht in Brunsbüttel und das andere in Kiel. Wir dachten, wir werden nie rechtzeitig fertig. 1000 Pfähle waren das ja - und denn musst du da jedes Mal vier Meter hochklettern und immer wieder 25 Glühlampen festmachen. Und für jede Schleusenanlage haben wir zusätzlich noch zwölf Bogenlampe montiert.
Aber nun ist es geschafft! Nun können die Kapitäne den Kanal auch nachts sicher befahren.
Ein Projekt von Theresa Günther, Martin Möllenkamp, Laura Quade und Heike Thode-Scheel
Im Rahmen von Coding da Vinci
Mit freundlicher Unterstützung der Sprecher